Chiron, der Schamane?

Chiron scheint also viel mit einem umfassenden Bewusstseinswandel zu tun zu haben und wahrscheinlich mit der Erkenntnis gekoppelt zu sein, dass wir bestimmte Probleme nicht auf der Ebene lösen können, auf der sie entstanden sind.

Der Chiron-Mythos weist viele Parallelen zu schamanischen Traditionen auf. In beiden Fällen eröffnet eine initiale Erkrankung das Tor zu höheren Bewusstseinsebenen. Jahrhunderte, um nicht zu sagen Jahrtausende lang gab es in der Astrologie 7 Himmelskörper, die heute noch als die „klassischen“ Planeten bezeichnet werden. Neben Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn waren das noch Sonne und Mond, die in der Astrologie ebenfalls bisweilen als Planeten bezeichnet werden. Nicht etwa deshalb, weil sich die Astrologie dem heliozentrischen Weltbild verweigert, sondern weil sie das geozentrisch ekliptikale Koordinatensystem verwendet, da wir ja den Himmel von der Erde aus beobachten. Ein Koordinatensystem hat aber nichts mit einem Weltbild zu tun.

Seit dem späten 18. Jahrhundert wurden nun drei weitere Planeten entdeckt, nämlich Uranus (1781), Neptun (1846) und Pluto (1930). 1977 kam dann noch Chiron dazu sowie viele weitere Planetoiden wie zum Beispiel Pallas, Juno, Vesta, Astraea, Hebe, Iris, Hygiea und Eunomia (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Asteroid). Immer mehr Astrologinnen und Astrologen beziehen auch diese Objekte in die Deutung von Geburtshoroskopen ein. Das ist allerdings nicht ganz unbedenklich, weil wir über diese Objekte sehr wenig wissen. Bei den sogenannten klassischen Planeten können wir auf jahrhundertelange Erfahrung und hunderte von Büchern zurückgreifen. Nicht so bei den neu entdeckten Objekten. Als Faustregel könnte gelten, dass wir einen Planeten oder Planetoiden seit seiner Entdeckung mindestens einen ganzen Umlauf beobachtet haben müssen, um halbwegs verlässliche Aussagen über seine Interpretation treffen zu können. Dies trifft ohne weiteres auf Uranus zu. Er hat seit seiner Entdeckung fast 3 komplette Umläufe durch den Tierkreis absolviert. Die Position seiner Entdeckung wird er übrigens im Jahr 2032 zum dritten Mal erreichen. Neptun hat immerhin einen vollen Umlauf absolviert. Er erreichte die Position seiner Entdeckung erstmals wieder im Jahr 2009. Pluto jedoch hat im Jahr 2018 gerade erst die Hälfte des Tierkreises absolviert und wird für den vollständigen Umlauf, bis zur Position seiner Entdeckung (ca. 20 Grad Krebs), noch bis zum Jahr 2179 benötigen! Und Chiron benötigt ebenfalls noch bis 2027 um einmal den ganzen Tierkreis umrundet zu haben.

Immerhin scheint Chiron ein Planetoid zu sein, der inzwischen von sehr vielen AstrologInnen in die Deutung mit einbezogen wird. Mehr zur Mythologie des Kentauren Chiron finden Sie im Artikel „Chiron in den Fischen“. Die Deutung Chirons wird üblicherweise mit folgenden Themenbereichen in Verbindung gebracht

  • verwundeter Heiler
  • tiefste Verletzung
  • nicht heilende Verwundung
  • Einzelgänger und Außenseiter
  • Todessehnsucht
  • innere Weisheit
  • Helfersyndrom
  • zentaurisches Bewusstsein (Einheit von Körper und Geist)
  • Schlüssel zu einem höheren Bewusstsein
  • Heilung zwischen Animalischem und Geistigem
  • Schamanismus

Entsprechend wird in der Deutung von Geburtshoroskopen angenommen, dass wir dort wo Chiron steht, unseren schmerzlichsten Punkt und unsere tiefste unheilbare Verwundung haben bzw. dass wir an der Stelle mit Todessehnsucht oder Außenseitertum konfrontiert sind. Manche Astrologen meinen auch, dass wir dort wo Chiron steht, zu mächtigen HeilerInnen werden können. Das sieht dann beispielsweise so aus, dass jemand, der Chiron im 2. Haus stehen hat, Menschen mit Selbstwertproblemen sehr gut helfen kann. Andererseits wird sein Selbstbewusstsein immer schwach bleiben.

Aber sind diese Deutungen wirklich zutreffend? Chiron war zweifellos eine ungewöhnliche mythologische Figur. Zunächst ist er aus einer Vergewaltigung Philyras von Saturn (=Kronos) gezeugt worden. Bei der Geburt fand ihn seine Mutter so hässlich, dass sie ihn verstieß. Dennoch galt Chiron (besonders laut Homer) als der Gerechteste und Edelste unter den Kentauren und auch unter den Menschen, während viele andere Kentauren als wilde, lüsterne Tiere beschrieben werden. Dann wird er versehentlich (!) von Herakles durch einen Giftpfeil verletzt und kann sich selbst nicht heilen, entdeckt aber durch sein unermüdliches Forschen zahlreiche Heilmittel, die Menschen zu Gute kommen. Wegen seiner Schmerzen wünscht er sich wohl häufig den Tod und bietet sich schließlich an, für Prometheus zu sterben. Er verbringt drei Tage in der Unterwelt und wird zuletzt von Zeus zur Belohnung als Sternbild des Schützen an den Himmel gesetzt. Wir entdecken in diesem Mythos auch viele Züge von Christus (der Gerechte und Edelste; der Heiler; der Verwundete und Gekreuzigte; der sich persönlich Opfernde, der die Schuld anderer auf sich nimmt; der Abstieg in die Unterwelt; die Himmelfahrt). Und der Mythos enthält auch viele Züge schamanischen Wissens, das sich in unserer Kultur immer größerer Beliebtheit erfreut. Die Schamanen gehen davon aus, dass es mehrere Wissens- oder Bewusstseinsebenen gibt, auf denen wir uns bewegen können. Die Ebene der Schlange (konkrete materielle Wirklichkeit), die Ebene des Jaguars (emotional-intellektuelle Ebene), die Ebene des Kolibris (seelische Ebene) und die Ebene des Adlers (göttliche Ebene). Sogar unsere moderne Wissenschaft entdeckt zunehmend, dass der Geist auf die Materie einzuwirken vermag. Schamanen scheinen das schon seit Jahrtausenden gewusst zu haben. Und Chiron scheint dieses Wissen perfekt zu verkörpern. Er leidet auf der körperlichen Ebene, ist aber seelisch einer der Edelsten und Gerechtesten, stellt sein Wissen in den Dienst der Menschen, opfert sich für Prometheus, weil er sein Leiden nicht mit ansehen kann und wird schließlich erlöst.

Wenn wir die Welt als Ganzes betrachten, so stellen wir fest, dass uns Menschen seit den 70-er Jahren des 20. Jahrhunderts (Chiron wurde 1977 entdeckt) zunehmend bewusst wird, dass die Ressourcen dieser Erde nicht unbegrenzt sind (z.B. erste und zweite Ölkrise 1973 und 1979), dass unser Handeln Folgen hat (z.B. Tschernobyl, Umweltverschmutzung, Klimawandel,) und dass es eines Bewusstseinswandels bedarf, um die Wunden unseres Planeten zu heilen. Nachdem Planetenentdeckungen gemäß dem Synchronizitätsprinzips immer auch dann stattfinden, wenn das menschliche Bewusstsein kollektiv eine neue Schwelle erreicht, könnte Chiron sehr wohl damit im Zusammenhang stehen. An dieser Stelle sei auch daran erinnert, dass zeitgleich mit Chirons erstem Eintritt in die Fische im Jahr 2010, die Ölplattform Deep Water Horizon explodierte und viele Millionen Liter Öl ins Meer flossen! Neben den konkret irdischen Phänomenen, beobachten wir seit den späten 70-er Jahren auch eine zunehmende Renaissance alter Philosophien, östlicher Weisheiten etc. Viele Philosophen und spirituelle Lehrer (z.B. Ken Wilber, Dalai Lama) versuchen eine Integration östlicher und westlicher Lehren, weil sie der Meinung sind, dass wir nur so die Welt heilen oder wenigstens verbessern können. Sogar die Medizin versucht neuerdings schamanische Techniken zu integrieren, experimentiert mit der Wirkung von Meditation und Gebet oder stellt fest, dass Imaginationstechniken den Heilungsprozess zumindest fördern können (vgl. Faulstich Joachim (2010). Das Geheimnis der Heilung: Wie altes Wissen die Medizin verändert.)

Chiron scheint also viel mit einem umfassenden Bewusstseinswandel zu tun zu haben und wahrscheinlich mit der Erkenntnis gekoppelt zu sein, dass wir bestimmte Probleme nicht auf der Ebene lösen können, auf der sie entstanden sind. Chiron könnte also der Schamane im Tierkreis sein, der dort wo er steht einen umfassenden Bewusstseinswandel in uns bewirken kann. Wahrscheinlich ist es dazu aber nötig, die höchste Vision dessen die/der wir sind zu verwirklichen und unermüdlich an uns zu arbeiten. Eine kurze Deutung könnte hier also lauten: Dort wo Chiron steht, fühlen wir uns verletzt. Und um diese Wunde zu heilen, müssen wir uns auf eine andere Bewusstseinsebene begeben. Aus seelischer Sicht oder gar aus der Sicht des Spirits (Gottes) gibt es nämlich keine Wunde, sondern nur Vollkommenheit. Oder wie die Taoisten sagen: Das Böse ist dazu da, um zu erkennen was gut ist. Mundanastrologisch interpretiert könnte das bedeuten, dass wir niemals angefangen hätten, nach alternativen Energieformen zu suchen oder Umweltschutz ernst zu nehmen, wenn wir nicht allmählich die fatalen Auswirkungen fossiler Brennstoffe erleben würden. Der Schmerz, die Verwundung, das Leid ist sozusagen Teil eines größeren Plans. Es gibt keinen Gott, der uns bestraft, sondern einen großen Plan (Synonyme: das Allganze, das Leben, der Spirit, …), dessen Ziel ein Mehr an Liebe und Erkenntnis ist. Das zu erkennen ist aber nur durch einen Wechsel der Bewusstseinsebene möglich. Auf der Ebene der Schlange, der konkret materiellen Wirklichkeit, sehen wir nur Leid, Zerstörung, Folter, Katastrophen, Unglück, Krankheit usw. Auf dieser Ebene sehen wir uns dann einem grausamen Gott oder Schicksal ausgeliefert und schreien schmerzverzerrt zum Himmel: „Wie kann Gott das bloß zulassen?“ oder „Angesichts des Leidens auf diesem Planeten kann es gar keinen Gott geben!“ Auf der seelischen Ebene würden wir konstatieren: Was kann ich angesichts der Bedingungen, die ich hier vorfinde, bestenfalls tun? Was kann ich hier lernen? Und auf dieser Ebene wissen wir auch, dass Schmerz und Leiden nicht das Gleiche ist. Wir mögen wohl große Schmerzen haben, aber wir können uns dennoch entscheiden nicht zu leiden.

Ist das die Botschaft von Chiron?

Literatur

Bachmann, Verena (2009). Die Chiron-Fibel. Brückenbauer zwischen Geist und Materie. Edition Astrodata.

Reinhart, Melanie (1997). Chiron – Heiler und Botschafter des Kosmos. Edition Astrodata.

Stiehle, Reinhardt (Hrsg.) (2009). Rätsel Chiron. Was bedeutet er für die Astrologie. Chiron Verlag.

Bildnachweis

Die Bilder stammen von pixabay.com, die Astro-Grafiken wurden mit der Software Sarastro erstellt.

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